Wagemutig metaphorisch und lustvoll
anthropomorphisierend: So schreibt Susan McClary auch in ihrem
jüngsten Buch gegen »master narratives« der eigenen
und verwandten Disziplinen an. Dazu nimmt sie Gedanken ihrer
unveröffentlichten Monteverdi-Dissertation (The Transition
from Modal to Tonal Organization in the Works of Monteverdi,
Diss. Harvard 1976) wieder auf, setzt etliche der sie in den
letzten Jahren vorwiegend beschäftigenden Themen fort, erntet
aber besonders auch die Früchte einer jahrzehntelangen
interpretatorischen und theoretischen Auseinandersetzung mit dem
Repertoire. Aus alledem setzt sie mit Modal subjectivities
nun eine Geschichte des italienischen Madrigals des 16.
Jahrhunderts zusammen, deren Erkenntnisinteresse weit über das
üblicher Gattungsmonographien hinausgeht.[1] Sich einreihend in Aplomb und Rhetorik der
– kürzlich durch eine ideologiekritische Studie Anne
Shrefflers ihres Habitus der revolutionären Vorbildlosigkeit
etwas entkleideten[2] – New
Musicology klassifiziert sie das Genre als »cultural
work« (Kapitel 1) und will es durch die interdisziplinär
gewobenen »histories of bodies, genders, sexualities and
subjectivities« (S. X) kontextualisieren, um somit
Musikgeschichte als Geistes- und Kulturgeschichte zu schreiben.
Denn im Madrigal, so ihre zentrale These, lasse sich eine bewusste
Konstruktion von Subjektivität durch Musik nachweisen, und
daher könne es gleichsam als Korrelat eines »morbidly
instrospective and irreconcilably conflicted Self« gedeutet
werden (S. 6). Sie wagt es sogar, dieses entscheidende Definiens
einer »Renaissance« burckhardschen Entwurfs zum
überhaupt ersten Mal in der Musik künstlerisch
verwirklicht zu sehen. Als Bühne des Ich identifiziert sie
namentlich die modale Ebene der Kompositionen, woraus sich dann
auch endlich der Titel des Buches erklärt: Modal
subjectivities geht, kurz gesagt, der Frage nach, was uns die
Wahl und Verwendung eines Modus in einem bestimmten Madrigal
über die Konzepte von Subjektivität, Identität und
Geschlechterrollen im 16. Jahrhundert sagt.
Zwar nennt McClary die geistigen Väter und
Mütter ihres Themas (an erster Stelle
erwartungsgemäß Foucault, daneben Charles Taylor, Peter
Burke, Stephen Greenblatt und María Rosa Menocal), dennoch
hätte der Studie eine pointierte Zusammenfassung dessen, was
sie aufgrund der angeführten Arbeiten unter der
subjectivity des 16. Jahrhunderts versteht, gut getan. Ohne
diese bleibt der Begriff für den Leser zumeist ein zu
vieldeutiges Etikett und changiert eigentümlich zwischen
Subjektivität, Identität und Innerlichkeit.
Etwas mehr Raum verwendet sie indes auf die Modi (S.
13ff.), die sie gerade wegen ihrer von zeitgenössischen
Theoretikern bezeugten Ambivalenzen als Ort musikalischen Handelns
definiert. Sie hat dabei offensichtlich eine Moduskonzeption nach
dem Paradigmenwechsel durch Glarean und Zarlino im Sinn, macht
diese Prämisse aber zu wenig klar. Dabei läge eine Chance
ihres Ansatzes, die Modi auch um 1600 noch als aussagestarke und
formal potente Mittel der kompositorischen Praxis ernst zu nehmen
und nicht nur unter dem dräuenden Herannahen der
Dur-Moll-Tonalität zu betrachten, gerade auch darin
nachzuweisen, dass die theoretische Neuformulierung des modalen
Systems ebenfalls mehr als nur ein hilfloser Versuch konservativer
Autoren war, sich gegen eine teleologisch notwenige
Veränderung zu stemmen.
Wie viel man einem Repertoire des 16. Jahrhunderts
abgewinnen kann, wenn man seinen modalen Rahmen als verbindlich und
vom Komponisten bewusst konturiert voraussetzt, entfaltet McClary
in den sieben Hauptkapiteln ihres Buches. Dort schreitet sie die
Reihe der renommiertesten Madrigalkomponisten von Verdelot bis
Gesualdo und Monteverdi chronologisch ab und stellt – mutig
genug – deren »Hits« in den Mittelpunkt
ausführlicher modaler Analysen. Ohne vor strenger
musikwissenschaftlicher Terminologie zurückzuschrecken gelingt
es ihrer mit Absicht narrativen und bildhaften Sprache dabei, die
musikalischen Abläufe auch für wenig Fachkundige
nachvollziehbar zu machen. Dieser äußerst produktive
Entwurf einer gleichermaßen argumentativen wie deutenden
Analyse, die ein ganzes Buch hindurch trägt, ist zweifellos
einer der anregendsten Punkte ihrer Arbeit. Zu den konzeptionellen
Glanzstücken gehört auch der vollständige Abdruck
aller besprochenen Kompositionen im Anhang, wenn auch ohne jede
philologische Auseinandersetzung mit dem Notentext.
Fachlich bewegt sie sich auf höchstem Niveau:
Mit selten anzutreffender Disziplin zügelt McClary die Neigung
moderner Untersuchungen zur Überbewertung von Vertikale und
harmonischer Progression. Vielmehr folgt sie mit großer
Feinfühligkeit den einzelnen Linien der Stimmen und klopft sie
auf ihren Beitrag zur Bestimmung des Modus ab. Sie geht dabei
hauptsächlich textimmanent vor, klammert also die notorischen,
aber überwiegend uneinheitlichen Affektzuschreibungen der
Theorie aus und sucht statt dessen die Rhetorik des Werkverlaufs
selbst freizulegen. Dabei gelingen ihr überaus spannende
Einsichten in das Laboratorium modalen Komponierens, wenn sie
verschwiegene Grundmodi, verweigerte oder abgebogene Kadenzen,
modale Doppeldeutigkeiten, die Implikation von Alterationen oder
das plötzliche Hereinbrechen völlig fremder Klänge
aufspürt. Ihre Kopplung solcher Vorgänge mit
Modalitäten des Subjekts wie der Trennung von
Selbstdarstellung nach außen und innerer Wahrheit, der
Zerrissenheit zwischen verschiedenen Affekten, der Kluft zwischen
Ratio und Empfindung, der Differenz zwischen dem Erzählenden
und dem Ich im Dialog, dazu die Konstruktion der Partnerin, der
Perspektivenwechsel zwischen dem Komponisten und seinen Figuren
können durchaus überzeugen. Von Bedeutung dafür sind
auch ihre Überlegungen zu den sich ändernden
Konstellationen im Dreieck Komponist-Ausführende-Publikum:
Wenn die Aufführung immer mehr zur Sache von professionellen
Sängern wird, muss sich das Verhältnis der Höflinge
als Kreis der Adressaten nicht vom unmittelbaren eigenen
Nachvollzug des Affektgangs zu einer mehr distanzierten Betrachtung
wandeln, so dass die Stücke die Innerlichkeit ihrer Figuren
nun eher repräsentieren als direkt abbilden? Und was, wenn wie
in Gesualdo der Komponist nicht mehr für Auftraggeber anderen
Standes schreibt, sondern für sich selbst?
Freilich: Nicht jede modale Ambivalenz will sich dem
Leser zwangsläufig als Zeichen einer zersplitterten
Identität darstellen, und zuweilen erscheinen die Deutungen
als unzulässiger Kurzschluss zwischen einer allgemeinen
Auffächerung der vom Text angesprochenen Dimensionen und den
Facetten ihrer Subjekte. Und obwohl sie das Problem anfangs
benennt, unterliegt auch McClary der typischen Gefahr von
Detailstudien, indem ihr der Modus und seine Implikationen für
die Subjektivitäten hin und wieder vom Ausschnitt zum
erschöpfenden Ganzen geraten. Und beschränkt sich die
Bedeutungspalette der Modi tatsächlich auf Innerpersonelles?
Außerdem hätte man gut auch mit etwas weniger Emphase auf
den sexuellen Konnotationen von Texten und Musik leben können.
Auch die erst spät nachgelieferte Geschichte der Modustheorie
erscheint als unnötig verkürzt und zu nachlässig (S.
194ff.): McClarys Affekt gegen scheinbar gesicherte
Forschungserzählungen versagt an dieser Stelle leider
gänzlich, so dass sich eine als Kopfgeburt apostrophierte
karolingische Musiktheorie und deren angeblich pragmatisch-leicht
genommene Reibung mit der Praxis fälschlich als nicht
vermittelbar mit der von der Autorin ja in hohem Grade plausibel
gemachten Relevanz modalen Komponierens wie Theoretisierens am Ende
der modalen Ära erscheint.
Ärgerlicher ist allerdings McClarys
übergroße Sparsamkeit mit Nachweisen und die meist
ausbleibende Vernetzung mit dem generellen Forschungsstand (eine
Bibliographie fehlt völlig). Vor allem aber bei der
Quellenerschließung leidet das Werk an erheblichen
Versäumnissen: Die ausgewählten Kompositionen werden nur
sehr punktuell in Kontexte eingebunden, das sonstige Œuvre der
Komponisten bleibt unerwähnt, mit Jahreszahlen geizt McClary,
Musikdrucke werden nicht nachgewiesen. Die wenigen Theoretiker
bleiben Schatten und werden unter Aussparung ihrer teils recht
komplizierten Veröffentlichungsgeschichten (Zarlino) nur in
englischen Übersetzungen zitiert. Außerdem vermisst man
schmerzlich eine nachvollziehbare Herleitung ihrer an den
Stücken durchaus fruchtbar gemachten, aber über das den
Quellen zu entnehmende weit hinausgehenden Modusbestimmungen. Dies
ist umso bedauerlicher, als der systematische Durchgang durch die
einzelnen Modi, den McClary im Schlusskapitel unternimmt (wo
allerdings ohne jede Begründung alle plagalen Modi außer
dem Hypodorischen fehlen), der Modus-Forschung unbestreitbar
spannende Impulse bietet.
Der Ertrag des Buches teilt sich somit auf zwei
Felder: Zum einen zeigt die Autorin beispielhaft eine innovative
Methode modalen, streng linearen Analysierens und setzt so die Modi
in ihr oft angefochtenes Recht als lange noch sinnträchtige
kompositorische Konventionen wieder ein. Zum anderen entwirft sie
eine Theorie des introspektiven Madrigals als
Mentalitätsspiegel des politisch weiter unruhigen
italienischen 16. Jahrhunderts, zu dessen Anfang Castiglione und
Machiavelli bereits das bewusste Kultivieren einer zwischen
Außen und Innen gespaltenen Identität postulieren. Dass
man über beides streiten kann, ist bei einem Werk von der
positiv apodiktischen und konzentrierten Anlage wie dem Susan
McClarys evident. Dass dieser Streit aber durchaus wichtige musik-
und geistesgeschichtliche Details besser begreifen lässt, der
höchst nützliche Beitrag dieses Bandes.
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