Recensione a cura di
Klaus Pietschmann
GIULIO CATTIN − PATRIZIA DALLA VECCHIA (a cura
di), Venezia 1501. Petrucci e la stampa musicale / Venice 1501.
Petrucci, music, print and publishing (Atti del convegno
internazionale di studi: Venezia, Palazzo Giustinian Lolin, 10-13
ottobre 2001), Venezia, Edizioni Fondazione Levi, 2005, XIV, 800
pp.: ill., es. mus.
STANLEY BOORMAN, Ottaviano Petrucci : catalogue
raisonné, Oxford – New York, Oxford University
Press, 2006, XII, 1281 pp.
Jahrestage zählen auch im wissenschaftlichen
Bereich zu den beliebtesten Anlässen, Forschungslücken
aufzugreifen und nach Möglichkeit zu schließen. Nun
zählt der venezianische Druckerpionier Ottaviano Petrucci zwar
zu den wohl besterforschten Vertretern seiner Zunft, jedoch
zeitigten spektakuläre Funde der letzten Jahre eine Reihe von
grundlegenden Revisionen des im wesentlichen auf Forschungen des
19. Jahrhunderts basierenden Kenntnisstandes, der bis in die 1990er
Jahre hinein zum musikwissenschaftlichen Standardwissen
zählte. Zugleich stehen etwa den intensiv erforschten
Messdrucken Josquins oder den Frottolenbänden andere nur wenig
beachtete Editionen gegenüber, so dass es ein halbes
Jahrtausend nach dem Erscheinen des Odhecaton A eine Reihe guter
Gründe gab, den Forschungsstand zu reflektieren und in Teilen
auch zu ergänzen. Dies erfolgte einerseits im Rahmen der von
der Fondazione Levi vom 10. bis zum 13. Oktober 2001 im
venezianischen Palazzo Giustinian Lolin durchgeführten Tagung
Venezia 1501: Petrucci e la stampa musicale, dessen
Beiträge 2005 in den Edizioni der Fondazione Levi von Giulio
Cattin und Patrizia dalla Vecchia herausgegeben wurden;
andererseits in Form eines monumentalen Catalogue raisonné
sämtlicher Drucke Petruccis von Stanley Boorman, der 2006 bei
Oxford University Press erschien.
Der Tagungsband, den es an erster Stelle anzuzeigen
gilt, wird im großen und ganzen der schwierigen Aufgabe
gerecht, einen ungemein facettenreichen Gegenstand, an den sich
eine lange Forschungstradition knüpft, zu würdigen. Dabei
liegt es in der Natur derart großer Veranstaltungen, dass
Ertrag und Erkenntnisgewinn im einzelnen schwanken, gleichwohl ist
der Anteil von grundlegenden Beiträgen erfreulich hoch. Das
Spektrum ist breit, wenn auch nicht umfassend und insbesondere eher
additiv: Werkgruppenübergreifende Beitragskombinationen wie
diejenigen des Roundtables zu den drei Canti-Drucken hätten
sicher auch im Zusammenhang mit anderen Bereichen wie etwa den
Messendrucken zu einer weniger fragmentierenden Aneinanderreihung
von Einzelperspektiven beigetragen, als sie sich letztlich
eingestellt hat.
Am Beginn steht eine allgemeine Charakterisierung des
venezianischen Humanismus (1501: L’umanesimo a
Venezia), in der Manlio Pastore Stocchi auf die singuläre
Fähigkeit des Patriziats der Serenissima hinweist,
Gelehrsamkeit und politische Effizienz zumindest das 15.
Jahrhundert hindurch zu kombinieren; wünschenswert wäre
freilich eine wenigstens ausblickartige Rückkopplung dieser
Beobachtungen an den Gegenstand des Bandes gewesen. Eine solche
bietet in vorbildlicher Weise Henri-Jean Martin, der einen knappen,
aber präzisen Überblick über die Situation der
L’Imprimerie Vénitienne en 1501 gibt und
aufzeigt, dass Petrucci im Verein mit anderen spezialisierten
Druckern wie Aldo Manuzio zur Aufrechterhaltung der Vorrangstellung
Venedigs als Druckerstadt beitrug, als die Buchproduktion zu einem
international umkämpften Markt geworden war. In Ergänzung
dazu liefert Dennis E. Rhodes einen konkreten Überblick
über die Vielseitigkeit der venezianischen Druckindustrie im
Erscheinungsjahr des Odhecaton 1501 und listet die bei 33
verschiedenen Druckern erschienenen insgesamt 120 bekannten
Editionen dieses Jahres in einem Anhang auf (Annali Tipografici,
Venezia, 1501). Den einleitenden Abschnitt des Bandes
beschließen sehr grundsätzliche Überlegungen von
Reinhard Strohm betreffend The Birth of the Music Book, die
die Spezifika von Musik enthaltenden Büchern, ihr
Verhältnis zur Aufführung, ihre Rolle innerhalb der
Buchkultur insgesamt sowie schließlich den vermeintlichen
Paradigmenwechsel durch den Musikdruck behandeln.
Den ersten der Beiträge zur Biographie Petruccis
bildet Ancora su Ottavio/Ottaviano Petrucci dal fondo notarile
di Fossombrone von Teresa M. Gialdroni und Agostino Ziino.
Ausgehend von Augusto Vernareccis 1881 erschienener
Petrucci-Biographie und ihren eigenen bahnbrechenden Funden zur
anhaltenden Aktivität Petruccis bis 1538 unterziehen die
Autoren die bekannten Dokumente zur Vita Petruccis einer erneuten
Überprüfung und weisen auf einige bislang unbekannte
Quellen hin. Die Ausführungen betreffen insbesondere Petruccis
Sterbedatum, das auf den Zeitraum zwischen der zweiten
Oktoberhälfte und Ende November 1538 eingegrenzt wird,
Petruccis Aufenthalt in Sora und seine Papiermühle in Acqua
Santa. Lorenz Welker widmet sich einem der nicht-musikbezogenen
Drucke Petruccis, Paul von Middelburgs Summa Paulina
(Ottaviano Petrucci and the political-cultural elite of his
time: The 1513 Print of Paul of Middelburg’s Summa
Paulina de recta Paschae celebratione), die dessen auf dem 5.
Laterankonzil verfochtene, letztlich nicht erfolgte Kalenderreform
zum Gegenstand hat. Welker bringt diese Unternehmung mit Petruccis
Bemühen um einen neuen Patron in Verbindung, der ihm zu einem
lukrativen Druckprivileg von Kalendern hätte verhelfen
können, wenn sein Reformprojekt erfolgreich gewesen wäre.
Die Vorschläge von Paolo Selmi, in welchen Bestandesgruppen
des venezianischen Staatsarchivs Untersuchungen zu Petrucci noch
ansetzen könnten (Ottaviano Petrucci a Venezia: Quesiti
biografici 1490- (?) 1514. Ipotesi per un itinerario
d’indagine archivistica), haben derart skizzenhaften
Charakter, dass ihre Aufnahme in den Band verwundern muss. Ebenso
erstaunt die randständige Positionierung von Stanley Boormans
grundlegendem Beitrag Petrucci in the Light of Recent
Research, der die jüngere Petrucci-Forschung luzide
zusammenfasst und um neue Erkenntnisse ergänzt, darunter so
kurios anmutende Aspekte wie das bislang unbekannte Aufnahmegesuch
des Druckers in die venezianische Truhenmachergilde im Jahre 1504
mit der Begründung, ein neues Färbeverfahren für
Cassoni entwickelt zu haben; Boorman sieht in dieser (erfolglosen)
Supplik den Anlass, für dieses Jahr eine Zäsur in
Petruccis Musikdruckproduktion anzunehmen, lässt jedoch die
Möglichkeit außer Betracht, dass sich hier das Indiz
für einen weiteren Tätigkeitsbereich Petruccis (von
mehreren?) finden könnte. Überdies weist Boorman darauf
hin, dass Petruccis Typen 1521 und 1522 in römischen Drucken
von Pasotti und Giunta auftauchen, die diese bis zum Sacco di Roma
benutzen, was schließen lässt, dass Petrucci nicht mehr
vorhatte, sich weiterhin als Musikdrucker zu betätigen. Von
großem Interesse sind schließlich auch die über 50
frühen Besitznachweise von Petruccis Drucken. Auf einige
offene Fragen in Petruccis Biographie weist Franco Mariani hin,
jedoch bleibt unklar, worin die im Titel angekündigten
Nuovi indizi per una biografia bestehen. James Haar
betrachtet Petrucci as Bookman und zeigt auf, wie
strategisch und richtungsweisend seine Entscheidungen hinsichtlich
Vorreden, Aufmachung, Größe und Format der Drucke sowie
ihrer Textierung und Aufteilung in Stimmhefte vor dem Hintergrund
der zeitgenössischen Usancen waren.
Den Abschnitt über Petruccis Publikationen
weltlicher Musik eröffnet ein Überblick von Francesco
Luisi über die Formen der italienischen Vokalmusik des 15.
Jahrhunderts und ihrer formalen Tradition, veranschaulicht mit
Hilfe eines umfangreichen Appendix. William F. Prizer nimmt die
insgesamt 13 canti carnascialeschi in den Frottolendrucken
Petruccis zum Anlass, den Ursprüngen dieser Liedgattung in
Florenz und ihrer späteren Verbreitung nachzugehen
(Petrucci and the Carnival Song: On the Origins and
Dissemination of a Genre). Ihm gelingt dabei auf der Grundlage
archivalischer Dokumente die überzeugende Rückdatierung
der Ursprünge der Gattung auf die frühen 1480er Jahre, in
jedem Fall vor dem Eintreffen Heinrich Isaacs. Nachfolgend
gelangten die canti rasch nach Süditalien und sind in den
1490er Jahren auch in Rom sowie in Ferrara und Mailand nachweisbar.
Der Beitrag von Paolo Trovato (In margine alle edizioni critiche
del corpus petrucciano. Appunti linguistici, stilistici e
metrici) zeigt an einigen Beispielen von Kompositionen auf
Petrarca-Texte das Potential einer gründlichen philologischen
Analyse der bei Petrucci auftauchenden Textvarianten auf.
Methodologische Überlegungen zum selben Aspekt stellt im
direkten Anschluss Bruno Brizi an (Criteri ecdotici per
l’edizione dei testi contenuti nei libri di Frottole di
Petrucci). Marco Gozzi widmet sich der Verwendung des
weltlichen Cantus prius factus La belle se siet in drei bei
Petrucci veröffentlichten Messsätzen (Analisi
comparativa dell’utilizzo del tenor La belle se siet) und
vermag die intrikaten Filiationen dieser beliebten Vorlage
überzeugend zu klären – unverständlich ist
jedoch, warum dieser Beitrag nicht im Zusammenhang mit Petruccis
Veröffentlichungen geistlicher Musik platziert wurde. Marco
Brusa sondiert Petruccis Frottolenbücher nach Spuren der
Villota (Presenze villottistiche nei libri delle Frottole),
einer in den 1510er und 1520er Jahren häufigen
Gattungsbezeichnung, deren frühes Verschwinden der Autor mit
dem Siegeszug des anpassungsfähigeren Terminus
‚Madrigal’ in Verbindung bringt. Die häufig
beobachtete Tendenz zur Anreicherung der französischen Chanson
mit populären Elementen im frühen 16. Jahrhundert
untersucht Maureen Epp am Beispiel der 31 auf identifizierbaren
volkstümlichen Vorlagen basierenden Stücken in den drei
Canti-Drucken (Evidence of Continuity and Change in the French
Chanson) und konstatiert dabei ein erstaunliches Weiterwirken
der traditionellen formes fixes, namentlich des Virelais.
Am Beginn der Beiträge zu den geistlichen
Kompositionen (in der Überschrift nicht ganz präzise als
„edizioni di musica liturgica" bezeichnet) stehen Richard
Sherrs Ausführungen zu Petrucci and the Problem of
Planxit autem David. Ausgehend von einem wahrscheinlichen
Kompositionsfehler geht Sherr den unterschiedlichen
Verfahrensweisen der Drucker bzw. Schreiber nach, die diese
Komposition überlieferten, und kommt zu dem Ergebnis, dass
Petruccis Autorität, die aufgrund der fehlerhaften Lesarten
häufig in Frage gestellt wird, möglicherweise gar nicht
so niedrig einzuschätzen ist, da er – wie im gegebenen
Fall – die Fehler der Vorlagen getreuer wiedergibt als
mancher musikverständige (und daher zur Korrektur bereite)
Herausgeber. Zuschreibungs-, Datierungs- und Stilfragen
bezüglich einiger Stücke in den Motetti C
(darunter das lange Josquin zugeschriebene Mille quingentis
von Obrecht, das anonyme Concede nobis und Josquins Ave
Maria ... virgo serena) diskutiert Jeffrey Dean (Some
Observations on Motetti C: C for Confusion, Chronology,
and Concede nobis). Lewis Lockwood fasst den Forschungsstand zu
Petrucci’s Edition of Josquin’s Missa Hercules Dux
Ferrarie zusammen und zeigt sich optimistisch, dass weitere
Archivstudien die Rätsel dieser Messe eines Tages
aufzulösen vermögen werden. Die besondere Rolle von
Petruccis Messdrucken für die Ausprägung eines
Bewusstseins für die klare Benennung von Titeln und Autoren
bei Messkompositionen weist Honey Meconi nach (Petrucci’s
Mass Prints and the Naming of Things), indem sie auf die
diesbezügliche Indifferenz von Musikhandschriften vor Petrucci
hinweist und anhand von anschaulichen Appendices verdeutlicht.
Anknüpfend an ihre Identifizierung von Petruccis Editor Petrus
Castellanus mit dem Kapellmeister der Dominikanerkirche S. Giovanni
e Paolo in Venedig hinterfragt Bonnie Blackburn dessen
Tätigkeit für Petrucci und identifiziert die
ungewöhnliche Bezeichnung „" für die Sesquialtera-Proportion als
typische Eigenart von Castellanus (The Sign of Petrucci’s
Editor), die in den meisten, jedoch nicht allen venezianischen
sowie den frühesten Fossombroner Drucken zu beobachten ist und
die anhaltende Tätigkeit des Mönchs für Petrucci
sehr wahrscheinlich macht. Giovanni Zanovello fasst ausgehend von
den Misse Jzac die bekannten Informationen zur Zirkulation
von Messen Heinrich Isaacs in Italien zusammen und weist auf eigene
Archivfunde hin, die einen Aufenthalt Isaacs in Florenz
während der bislang im Dunklen liegenden Jahre unmittelbar vor
dem Erscheinen des Drucks im Jahre 1506 sehr wahrscheinlich
erscheinen lassen (Isaac e Petrucci: L’antologia veneziana
del 1506). Die alte These von einem „Laudenstil", der in
Josquins Tu solus qui facis mirabilia und den anderen
Motetten in den Motetti B anzutreffen sei, relativiert Warren Drake
unter Verweis auf die Tatsache, dass die Lauda im Erscheinungsjahr
1503 eine noch sehr junge Gattung war und in den fraglichen
Motetten zudem markante frankoflämische Charakteristiken
anzutreffen sind (Motetti B and its Relation to the Lauda
Repertory circa 1500). In ihren Considerazioni sulle
Lamentazioni verortet Alessandra Fiori die beiden Sammlungen
Petruccis von 1506 sehr knapp im Kontext der älteren
Lamentationskomposition und der Falsobordone-Praxis des 15.
Jahrhunderts.
Die Beiträge zur Instrumentalmusik eröffnet
Dinko Fabris’ reich dokumentierte Einordnung von Petruccis
Tabulaturdrucken in den Überlieferungskontext (Le prime
intavolature italiane per liuto), die er unter den
Gesichtspunkten der Rezipientengruppen, der
Repertoireüberlieferung und der Notation vornimmt.
Erschöpfend, aber mit 100 Seiten Umfang den Rahmen eines
Tagungsbandes sprengend sind die Ausführungen von Rodobaldo
Tibaldi zu Repertorio tràdito e coevo nelle intavolature
per canto e liuto raccolte da Francesco Bossinensis con uno sguardo
alle raccolte analoghe. Martin Kirnbauer konzentriert sich auf
die Lautenduos in den beiden 1507 erschienenen Tabulaturen von
Francesco Spinacino und beurteilt die offenkundigen
Notationsprobleme vor dem Hintergrund von Zeugnissen des 15.
Jahrhunderts zur Beliebtheit dieser Besetzung, die auf eine
primär improvisatorische Aufführungspraxis hindeuten und
nahelegen, die Drucke „seriously, but not literatim" zu
nehmen (Petrucci in the Fifteenth Century: The Lute
Duos).
Die beiden Beiträge zur Rezeption von Petruccis
Drucken betreffen interessante, wenn auch reichlich isolierte
Beispiele. Ivano Cavallini rekonstruiert und kontextualisiert das
Musikinteresse der aus dem Friaul stammenden Irene da Spilimbergo
um die Mitte des 16. Jahrhunderts auf der Grundlage von
Bibliotheksinventaren ihres Vaters Adriano und des Großvaters
von mütterlicher Seite Gian Paolo da Ponte, in denen sich
vereinzelte Petrucci-Drucke befinden, sowie einer Biographie, die
die ungewöhnlich späte Vorliebe von Irene für den
Frottolisten Tromboncino dokumentiert (Irene da Spilimbergo:
Storia di una biblioteca di famiglia e un caso dubbio di
persistenza del repertorio frottolistico). Tess Knighton
analysiert das Inventar des in Barcelona ansässigen
Buchhändlers Joan Guardiola, das nach seinem Tod 1561
angefertigt wurde und unter den insgesamt 55 Musikbüchern auch
sechs oder sieben verschiedene Petrucci-Drucke aufweist
(Petrucci’s Books in early Sixteenth-Century
Spain).
Den drei Canti-Drucken Petruccis war eine Tavola
rotonda gewidmet. Allan W. Atlas sammelt und evaluiert die
Argumente für die These, dass Jean Japart 1499 in Venedig
tätig war und in engem Austausch mit Petruccis Editor Petrus
Castellanus stand, woraus die starke Präsenz seiner
Kompositionen in den Liederbüchern resultiert sein könnte
(Petrucci’s Songbooks and Japart’s Biography).
David Fallows plädiert für eine zusammenfassende
Betrachtung der drei Liedersammlungen und nimmt eine Klassifikation
des enthaltenen Repertoires vor (I volumi dei canti di Petrucci:
Finalità e repertorio). Martin Staehelins Beitrag Zum
Verhältnis der drei Canti-Drucke Ottaviano Petruccis
zur gleichzeitigen handschriftlichen Überlieferung
verweist neben Format- und Inhaltsfragen insbesondere auf die
Tatsache, dass die handschriftlichen Sammlungen einzelnen Personen
gewidmet waren, die Drucke sich jedoch an eine größere
Öffentlichkeit wandten.
In einem letzten Abschnitt zu Petrucci e la musica
del XX secolo beschäftigen sich Susanna Pasticci (Memorie
di Petrucci a Venezia, quattro secoli dopo) und Joachim Noller
(Maderna, la storia e la crisi della stampa musicale) mit
dem Interesse von Komponisten wie Gian Francesco Malipiero, Bruno
Maderna und Luigi Nono an älterer Musik, namentlich den im
Odhecaton A und anderen Petrucci-Drucken überlieferten
Kompositionen. In einem Appendix weist Angelo Rusconi auf Una
nuova copia dei Motetti C im Archivio storico della parrocchia di
S. Lorenzo in Vendrogno hin. Am Ende des Bandes findet sich ein
Namen- und Orteregister, das jedoch bedauerlicherweise keine Werke
enthält und, wie Stichproben ergaben, lediglich als relativ
akurat bezeichnet werden kann.
***
Eine geradezu ideale Ergänzung erfährt der
Tagungsband durch Stanley Boormans beeindruckenden, 1279 Seiten
umfassenden Catalogue raisonné, der einem großen
Forschungsdesiderat Rechnung trägt und in der Akuratesse
seiner Realisierung die jahrzehntelange Auseinandersetzung des
Forschers mit Petrucci krönt. Dabei erliegt Boorman nicht der
Gefahr, die enorme Bedeutung, die Petrucci in der Forschung
rückblickend beigemessen wurde, auf das frühe 16.
Jahrhundert zu projizieren und seine Rolle etwa mit derjenigen
Manuzios parallel zu setzen. Vielmehr sieht er sein Hauptanliegen
darin, ein prinzipielles Verständnis für die Rolle des
Musikdrucks in seinen ersten Jahrzehnten zu eröffnen und
zugleich den bibliographischen wie musikwissenschaftlichen Zugang
zu den bekannten Drucken Petruccis zu erleichtern. Dieses Ziel wird
mit diesem Katalog ohne jede Einschränkung erreicht, zumal
Boorman gegenüber dem in Erstauflage 1948 erschienenen Katalog
von Claudio Sartori nicht nur größere
Vollständigkeit, sondern auch eine erheblich erweiterte
Informationsvielfalt, Recherchemöglichkeiten und
Erschließungskomfort bietet.
Auf eine Einleitung, die Methode und
Forschungsgeschichte zusammenfasst, folgt ein knapp 400 Seiten
umfassender, mit Analysis überschriebener Teil, an
dessen Beginn eine minutiöse Biographie steht (auch wenn
Boorman der zuvor besprochene Tagungsband noch nicht vorlag,
berücksichtigt er die hier publizierten neuen biographischen
Details). Es folgt eine detaillierte Analyse von Petruccis
Druckprivilegien, die nicht nur zahlreiche zeitgenössische
Privilegien zum Vergleich heranzieht, sondern zugleich den
Charakter von Petruccis „Erfindung" eingehender diskutiert.
Diese und weitere Dokumente sind im Anhang im Original
wiedergegeben, was angesichts der Dicke des Bandes nicht sonderlich
bequem ist (ebenso wie die Plazierung der Anmerkungen als Endnoten
im Anschluss an die einzelnen Kapitel); überdies wäre man
dankbar für eine Übersetzung gewesen. Im folgenden
Abschnitt beschreibt Boorman Petruccis Druckermaterial, speziell
das verwendete Papier und, besonders detailliert, das
Typenmaterial, sowie schließlich die Tinte und die
Druckerpresse. Das vierte Kapitel ist der Druckgestaltung sowie dem
praktischen Ablauf des Druckprozesses gewidmet und sollte in seiner
Anschaulichkeit zur Pflichtlektüre eines jeden Studierenden
der Musikwissenschaft werden. Im fünften Kapitel wird
Problemen der Chronologie von Petruccis Drucken nachgegangen, wobei
insbesondere die sog. verborgenen Auflagen („hidden
editions"), die kein eigenes Druckjahr tragen, aber
Veränderungen etwa des Papiers aufweisen, oder offenbar zu
Korrekturzwecken nachgedruckte Einzelseiten einer bestimmten
Auflage für eine verwirrende Situation sorgen, die Boorman
sorgfältig darlegt und zu weiten Teilen zu klären vermag.
Da es sich hierbei im wesentlichen um die Folgen von
Korrekturvorgängen handelt, behandelt das folgende Kapitel
konsequenterweise „other patterns of in-house correction" wie
etwa Fahnenkorrektur, Errata-Listen, handschriftliche Korrekturen
oder Nachdruckverfahren, die jeweils detailliert exemplifiziert
werden. Im siebten Kapitel werden die nicht-musikalischen
Bücher behandelt, d.h. Middelburghs Paulina (1513) und
Parabola Christi (1516), Castigliones Ad Henricum
Epistola (1513) und Hippocrates’ Opera (1519). Es
folgen drei Kapitel, die sich mit dem Kundenkreis Petruccis
auseinandersetzen. Zunächst geht Boorman in Kapitel 8 der
Frage nach, mit welchen Mitteln Petrucci versuchte, seine
Musikbücher nutzerfreundlich zu gestalten, und untersucht dies
anhand von Aspekten wie Format, Layout und Akuratesse. Es folgt
eine Auseinandersetzung mit dem von Petrucci verbreiteten
Repertoire und seinen Quellen, wobei insbesondere auch die
Rückschlüsse, die die Drucke für die Marktlage
erlauben, von hohem Interesse sind. Boorman teilt das in Petruccis
Drucken enthaltene Repertoire in insgesamt 19 Gruppen ein, die er
jeweils einer sehr genauen, auch die handschriftliche Verbreitung
der Kompositionen berücksichtigenden Analyse unterzieht. Im
10. Kapitel folgt dann die Betrachtung der Verbreitung der Drucke
selbst, die u.a. die Verkaufspreise (vorwiegend auf Grundlage der
Angaben von Ferdinand Columbus) und die Käufergruppen, aber
auch die potentiellen Vertriebswege und Kostenkalkulationen in den
Blick nimmt. Es folgen im 11. Kapitel Beobachtungen zum
Vermächtnis Petruccis, dessen Methode im Gegensatz zu
derjenigen Andrea Anticos rasch nachgeahmt wurde und weite
Verbreitung fand. Neben den unmittelbaren Nachahmern Pasotti,
Giunta und Dorico in Rom sind nördlich der Alpen insbesondere
Öglin und Schöffer d.J. zu nennen. In einem
abschließenden Kapitel fragt Boorman nach den Auswirkungen von
Petruccis Erfindung für die Verbreitung, letztlich aber auch
die Kompositionsweise der Musik. Hier neigt der Autor neuerlich zur
Vorsicht, indem er auf die vielfältigen Ursachen für den
Wandel der Musikkultur des 16. Jahrhunderts und den letztlich doch
begrenzten Radius des Musikdrucks Petruccis hinweist.
Am Beginn des als „Bibliography" bezeichneten
Herzstücks des Bandes, das Boorman gleichwohl in erster Linie
als Nachweis für die im ersten Teil angestellten
Überlegungen und Beobachtungen aufgefasst wissen will, stehen
chronologische Auflistungen von Petruccis Publikationen (Kapitel
13) und der „Ghosts", d.h. Petrucci fälschlich
zugeschriebenen Editionen (Kapitel 14). Es folgt eine systematische
Beschreibung der verwendeten Musik-, Schrift- und Initialtypen
sowie der Wasserzeichen. Veranschaulichende Abbildungen wären
hier wünschenswert gewesen. Die bibliographischen
Beschreibungen selbst sind denkbar detailliert und entsprechen den
üblichen Konventionen, so dass an dieser Stelle nur die
wichtigsten Elemente angeführt seien. Titel, Vorreden und
Inhaltsübersichten werden in diplomatischer Umschrift, leider
ebenfalls ohne Übersetzungen, wiedergegeben. Die Beschreibung
umfasst neben den üblichen Angaben zu Format, Kollation,
Druckermarken, Foliierung, Stimmbezeichnungen und Typen auch
Kommentare zu den Lesarten des Textes und technische
Charakteristika. Eine detaillierte Beschreibung des Inhalts und der
überlieferten Exemplare, eine Bibliographie sowie ein
ausführlicher Kommentar schließen die Einträge ab.
Es folgt eine Konkordanzliste zu sämtlichen von Petrucci
gedruckten Kompositionen, die nach lateinischen, italienischen,
französischen, deutschen bzw. niederländischen und
spanischen Texten sowie instrumentalen und untextierten Werken
differenziert. Die hier genannten Quellen werden nochmals in einer
separaten Auflistung, gegliedert nach Drucken und Handschriften,
mit den jeweiligen Nachweisen bei Petrucci zusammengestellt. Der
bereits erwähnte Dokumententeil trägt biographische
Nachweise, Privilegien und andere juristische Dokumente sowie
Hinweise auf frühe Besitzer bzw. Erwähnungen von
Petruccis Büchern zusammen. Register der besitzenden
Bibliotheken, der Editionen sowie ein integrierter Sach-,
Personen-, Werke- und Orteregister erschließen den Band in
vorbildlicher Weise.
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